von Sandra Barbosa da Silva
Kurzgeschichte
Genre: Krimi
Lesedauer: 7–8 min.

Love Scamming1
Als der gutaussehende Bodybuilder gegen siebzehn Uhr dreißig die Kneipe betrat, saß nur ein einsam wirkender Mann im dunkelgrauen Anzug an der Theke. Der junge Mann ließ seine Sporttasche neben einen Barhocker fallen.
„Darf ich?“, fragte er den Mittfünfziger höflich und deutete auf den Hocker neben ihm. Der Mann sah ihn mit glasigen Augen an.
„Setzen Sie sich.“ Er wandte den Blick wieder ab und leerte mit einem tiefen Zug sein Glas. „Noch mal dasselbe, bitte.“ Er schob dem Wirt sein leeres Wodka-Lemon-Glas hin.
„Und was darf es für Sie sein?“ Der Wirt sah den Neuankömmling auffordernd an.
„Ich nehme das Gleiche.“
„Wenn du noch zum Pumpen willst, mein Junge, solltest du das lassen.“ Die Muskeln seiner neuen Bekanntschaft waren unter dem engen T‑Shirt nicht zu übersehen.
„Meine Schicht ist für heute vorbei. Ich bin Trainer im Fitness-Studio hier um die Ecke. Und Sie? Kommen Sie auch gerade von der Arbeit? Sie sehen ziemlich erledigt aus.“
Der Mann im Anzug musterte ihn.
„Erledigt trifft es ziemlich genau.“ Er wandte sich seinem neuen Getränk zu.
„Ich heiße Steffen.“ Der Sportler hielt dem Mann seine rechte Hand hin, aber der Anzugträger reagierte nicht.
„Dann eben nicht“, murmelte Steffen. Sein Blick fiel auf den Flachbildschirm, der schräg hinter der Theke an der Wand hing und über den gerade die Nachrichten flimmerten:
„In Bonn fand heute Nachmittag der fünfte Prozesstag im sogenannten Sugar-Daddy-Fall statt. Eine dreißigjährige Edelprostituierte hatte mit zwei Komplizen einen fünfundfünzigjährigen Geschäftsmann mehrfach erpresst und insgesamt 1,6 Millionen Euro erbeutet. Zuvor hatte die Deutsch-Irakerin den Geschäftsmann über eine Datingplattform kennengelernt und war eine Beziehung mit ihm eingegangen. Die beiden Mittäter sind Angehörige einer Motorradgang, von der die Haupttäterin wegen ihrer belastenden Aussage bereits einige Morddrohungen erhalten haben soll. Der Prozess findet aus diesem Grund unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter größten
Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Angeklagte wurde aus der Untersuchungshaft entlassen und als Kronzeugin ins Zeugenschutzprogramm übernommen. Das Urteil wird für Mitte des Monats erwartet.“
„Alter, wie abgefuckt muss man dafür sein?“ Steffen schüttelte den Kopf und nippte an seinem Wodka-Lemon.
„Jeder Mensch hat ein zweites Gesicht.“
„Was?“ Steffen war derart von den Nachrichten fasziniert, dass er sich nur zögernd zu seinem Nachbarn umdrehte. Der Mann sprach schon etwas schwerfällig.
„Die Frau in den Nachrichten“, wies dieser mit dem Kinn zum Fernseher, „hat den armen Mann zuerst gekonnt um den Finger gewickelt und anschließend systematisch ausgenommen.“
Steffen runzelte fragend die Stirn. „Woher wissen Sie das? Es wurden doch kaum Details bekanntgegeben.“
Zögernd fing der Mann an zu erzählen. Er gab zu, dass er der abgezockte Geschäftsmann sei und beschrieb, wie er die Frau über eine Datingseite kennengelernt habe. Ihm sei völlig klar gewesen, dass es sich bei der Beziehung um ein reines Geschäft handelte – Robert, der reiche Geschäftsführer eines Telekommunikationsunternehmens mit Villa, Pool, mehreren Autos und einer Yacht habe eine junge knackige Frau gesucht, die die angenehmen Dinge des Lebens mit ihm teilen wollte. Dafür sei er bereit gewesen, sie mehr als großzügig für ihre Dienste zu entlohnen.
„Ich war völlig hingerissen und sofort schwer verliebt.
Leyla war so schön, so gepflegt, hatte eine überirdisch tolle Figur und sehr gute Umgangsformen. Und dumm war sie auch nicht. Ein Jahr lang lief es wirklich fantastisch. Fast hätte ich ihr einen Heiratsantrag gemacht.“
„Was ist passiert?“, fragte Steffen neugierig. Seine Augen klebten förmlich an Roberts Lippen. Er orderte eine weitere Runde.
„Sie wurde entführt, und ich sollte achtzigtausend Euro zahlen. Was hätte ich machen sollen? Sie haben gedroht, ihr diverse Finger abzuschneiden und sie zu vergewaltigen. Die Nase haben sie ihr gebrochen. Selbstverständlich habe ich gezahlt, und einen Tag später war sie wieder da. Ich wollte einfach nur alles vergessen und war froh, dass ihr nichts passiert war.“
„Die Erpresser wollten wirklich nur Geld?“
Steffen zog eine Augenbraue hoch. „Meistens überleben die Geiseln nicht. Sicher, dass sie nicht etwas anderes wollten?“
Robert schüttelte den Kopf. Er lallte ein wenig. „Sie wollten regelmäßiges Geld. Mal zwanzigtausend, mal hundertachtzigtausend, einmal sogar zweihundertfünfzigtausend Euro. Jedes Mal habe ich gezahlt, weil ich Angst hatte, Leyla zu verlieren. Anfangs habe ich es nicht durchschaut. Mir hätte auffallen müssen, dass normalerweise nicht die Geisel bei der Lösegeldübergabe das Geld abholt. Leyla kam immer allein. Sie behauptete stets, die beiden Täter beobachteten sie versteckt. Zuerst habe ich nicht gemerkt, dass sie auf einmal teure Handtaschen, Uhren und
Schuhe trug, die nicht ich ihr gekauft hatte. Sie hatte sich anscheinend vor einigen Monaten in einen anderen Mann verliebt, und dann beschlossen sie gemeinsam, mich auszunehmen. Erst durch den Prozess bin ich dahintergekommen, dass das Lösegeld immer auf ihrem Konto landete. Ich Idiot habe ihr noch eine Wohnung gekauft. Alles hätte ich ihr bezahlt, damit sie bei mir bleibt.“
„Liebe macht wohl blind“, schlussfolgerte Steffen.
„Warum sind Sie damit nicht zur Polizei gegangen?“
Robert druckste herum. „Das Lösegeld stammte nicht aus meinem Privatvermögen. Soviel hätte ich nie so schnell zur Verfügung gehabt. Also lieh ich es mir aus dem Betriebsvermögen meines Arbeitgebers. Ich bekomme jedes Jahr hohe Boni und wollte das Geld wieder zurückzahlen, ohne dass jemand etwas merkt. Nie hätte ich geglaubt, dass die Entführer mehrfach zuschlagen würden. Keine Ahnung, wo das alles geendet hätte, wenn die Steuerprüfung nicht die Unstimmigkeiten auf den Firmenkonten entdeckt hätten.
Die letzte ‚Entführung‘ machte mir dann endlich klar, dass Leyla mich verarscht hat.
Sie lockte mich unter einem Vorwand in ihre Wohnung, aber da warteten nur zwei Typen mit Skimasken, die mir Schläge androhten und noch Schlimmeres. Sie wollten zweihundertfünfzigtausend, ansonsten würden sie uns beide umbringen. Ich packte das Lösegeld in Leylas alte schwarze Sporttasche. Da hing immer so ein rosa Pompon am Reißverschluss. Ich weiß noch, wie deplatziert er mir erschien … Obwohl ich Leyla gerne geglaubt und sie wieder bei mir gehabt hätte, zog ich nach der Sache endlich einen Schlussstrich. Da waren einfach zu viele Unstimmigkeiten.“
„Starker Tobak. Und das hat sie alles mit den zwei Rockern abgezogen? Oder gab es noch mehr Komplizen?“ Steffen rückte wissbegierig noch näher heran.
Das Sprechen fiel Robert mittlerweile schwer. „Man mutmaßt, dass noch ein neuer, dritter Liebhaber existiert. Aber es gibt keine Beweise und Leyla schweigt. Wieso interessiert dich das alles überhaupt?“
Steffen ignorierte die Frage. „Die Geschichte ist wirklich hollywoodreif, Mann.
Schätze, Sie sind voll am Arsch. Frau weg, Kohle weg …“, zählte er auf.
Robert fuhr fort: „Verfahren wegen Veruntreuung und Betrugs am Hals. Wenn ich Glück habe, bekomme ich einige Jahre auf Bewährung. Alles, was ich besitze, wird beschlagnahmt. Und wer stellt mich danach noch ein? Das Opfer bin ich, sonst niemand. Freunde und Geschäftspartner kehren mir bereits den Rücken.“ Er leerte erneut sein Glas.
In dem Moment erschienen die nächsten Nachrichten im Fernsehen. Trotz Zeugenschutzprogramm hatte man Leyla vor einigen Stunden tot in ihrem Hotelzimmer aufgefunden, Ursache ungeklärt. Robert starrte begriffsstutzig auf den
Fernseher, Steffen jedoch seufzte erleichtert und grinste heimlich. Auf seine Freunde konnte er sich immer verlassen. Er warf dem Wirt einen Hundert-Euro-Schein hin.
„Rufen Sie dem Mann ein Taxi, den Rest können Sie behalten.“ Er stand auf und klopfte Robert auf die Schulter. „Ein Problem sind Sie jetzt los.“ Während er hinausging, schulterte er seine schwarze Sporttasche.
Am Reißverschluss baumelte ein rosa Pompon.
***
Fußnote:
