Verlassen

Defi­ni­ti­on:

„in unan­ge­nehm emp­fun­de­ner Wei­se ohne jedes Leben, ohne Leben­dig­keit und daher trost­los-öde wirkend“

Foto: Robert Arm­strong / Pix­a­bay

[Anmer­kung: Zur bes­se­ren Les­bar­keit des Tex­tes ver­wen­de ich das Wort „Part­ner“ als Sam­mel­be­griff für alle Geschlech­ter und Identitäten.]

Natür­lich bezieht sich die­se Defi­ni­ti­on auf eine ver­las­se­ne Gegend. Aber fühlt sich ein ver­las­se­ner Mensch nicht genau­so? Am Boden zer­stört? Wenn jemand eine Bezie­hung been­det, lässt er sie ohne Leben zurück – sie stirbt, und der hin­ter­las­se­ne Part­ner ver­küm­mert. Oder er ist befreit – auf die Per­spek­ti­ve kommt es an.

Ver­las­sen­wer­den fin­det auch in ande­ren zwi­schen­mensch­li­chen Bezie­hun­gen statt – zwi­schen Kin­dern und Eltern, zwi­schen Freun­den, Kol­le­gen, Geschäfts­part­nern … Über­all dort, wo zwei oder mehr sich gegen­sei­tig ange­zo­gen haben, kön­nen sie sich irgend­wann wie­der von­ein­an­der absto­ßen. Auch eine Bezie­hung ist Ener­gie, die stän­dig in Bewe­gung blei­ben muss, um nicht abzusterben.

Wir füh­len uns

  • weg­ge­wor­fen, aus­ran­giert wie ein altes Möbel
  • wert­los, abge­nutzt, wie zwei­te Wahl
  • hohl, aus­ge­brannt
  • bezie­hungs­un­fä­hig (was habe ich falsch gemacht?) – dazu gehö­ren immer zwei, denn alle Bezie­hun­gen fußen auf gegen­sei­ti­ger Anzie­hung (Reso­nanz). Nie kann nur einer die Schuld an allem tra­gen. Fragst du dich viel­leicht, war­um dein Part­ner ohne ein Wort gegan­gen ist? – Dann hast du mög­li­cher­wei­se vor­her nichts gesagt, als du hät­test reden sol­len. Du ver­stehst sei­ne Hand­lung nicht? Er hat dich even­tu­ell auch nicht verstanden.
  • wie ein alter Hut – man konn­te den Erwar­tun­gen des Part­ners nicht ent­spre­chen. Aber wir sind auch nicht auf der Erde, um die Erwar­tun­gen und Bedürf­nis­se ande­rer zu erfül­len. Wir sind hier, um unse­re eige­nen zu ent­de­cken und zu erfül­len (weißt du wirk­lich so genau, was du vom Leben und einer Part­ner­schaft erwar­test?). Und dazu brau­chen wir ande­re Men­schen als Spie­gel. Kön­nen wir dem ande­ren nichts mehr spie­geln, ist oft die Bezie­hung zu Ende.
  • feh­ler­haft
  • betro­gen
  • als hät­te der Part­ner einen Teil von uns mit­ge­nom­men. Wir füh­len uns zer­stört und unvoll­stän­dig (See­len­ver­lust).

See­len­ver­lust ist eine schlim­me Sache.
Es fühlt sich an, als feh­le ein Teil des eige­nen Ichs. Wir geben dem Ex-Part­ner die Schuld und glau­ben, er hät­te ihn mit­ge­nom­men. In Wahr­heit sind wir nur trau­ma­ti­siert, weil wir uns selbst ver­lo­ren haben. Was soll unser ehe­ma­li­ger Part­ner mit einem Teil von uns anfan­gen, wenn er uns schon in unse­rer Gän­ze nicht gebrau­chen kann?
Mach dich also auf die Suche und fin­de dei­nen ver­lo­re­nen Teil – genau so ver­bis­sen, wie du einen ver­leg­ten Auto­schlüs­sel suchen wür­dest.
Wel­cher Teil von dir ist weg? Was kannst du plötz­lich nicht mehr, das vor­her kein Pro­blem war? War­um bist du unsi­cher, wovor genau hast du Angst und an wel­cher Stel­le bist du falsch abgebogen?

Wir füh­len uns von der Rea­li­tät aus­ge­schlos­sen. War­um bin ich ein Außen­sei­ter?
Alle ande­ren sind so glück­lich (zumin­dest inter­pre­tie­ren wir es so, wir wis­sen es nicht). War­um ist mei­ne Rea­li­tät auf ein­mal so anders? – Weil es zig ver­schie­de­ne gibt, und sie sind alle wahr (oder kei­ne davon). Sie exis­tie­ren neben­ein­an­der, über­ein­an­der, ver­mi­schen sich … Wir erschaf­fen sie jeden Tag selbst neu und wech­seln zwi­schen ihnen hin und her. Durch eine Tren­nung rut­schen wir oft in eine düs­te­re Par­al­lel­welt ab (das Bezie­hungs­ka­bel wur­de durch­trennt). Gehen wir davon aus, dass es nur ein­zi­ge Rea­li­tät gibt, wird sie uns gefan­gen hal­ten oder in ein uner­träg­li­ches Vaku­um stür­zen.
Wenn wir den Gedan­ken zulas­sen, dass ver­schie­de­ne Rea­li­tä­ten neben­ein­an­der wahr sind, dann kön­nen wir selbst dazu bei­tra­gen, den Weg in die ver­meint­lich bes­se­re zurück­zu­fin­den. Gefällt uns ein Film nicht, zap­pen wir schließ­lich auch weiter.

Man wür­de am liebs­ten alles tun, um den Part­ner zurück­zu­ge­win­nen.
Doch war­um sich für jemand ande­ren ver­bie­gen? War­um soll­ten wir jeman­den spie­len, der wir nicht sind? Damit wären wir eine Mogel­pa­ckung für den Part­ner, und ewig könn­ten wir die Show nicht auf­recht­erhal­ten. Uns selbst wür­den wir damit untreu und könn­ten uns selbst nicht mehr lei­den.
Wie soll uns der Part­ner ken­nen, wenn wir uns nicht ein­mal selbst ken­nen, nicht wis­sen, was wir möch­ten und was nicht? Solan­ge man in einer Part­ner­schaft nicht ehr­lich über sei­ne Wün­sche und Bedürf­nis­se spricht, kann der ande­re sie nicht ken­nen. Er kann nur inter­pre­tie­ren, und das wird meis­tens falsch. – War­um?
Weil nie­mand eine Glas­ku­gel besitzt. Wir kön­nen das Ver­hal­ten des ande­ren nur mit unse­ren eige­nen Erfah­rungs­mo­del­len ver­glei­chen und dar­aus schluss­fol­gern. Mög­li­cher­wei­se hat der ande­re ganz ande­re Erfah­run­gen in einer ähn­li­chen Situa­ti­on gemacht und bewer­tet ganz anders – zack, haben wir das ers­te Miss­ver­ständ­nis auf­grund fal­scher Interpretation. 

Wir erle­ben eine Pha­se der Initia­ti­on, wäh­rend wir in unse­rem tiefs­ten Loch ste­cken.
Alles Leben wird aus dem Cha­os gebo­ren, und wenn wir es rich­tig anstel­len, ent­de­cken wir in unse­rer schwär­zes­ten Stun­de unser Poten­zi­al.
Was soll ich aus die­sem Erleb­nis ler­nen?
Wel­che Situa­ti­on muss­te ster­ben?
Was bleibt von mir über, wenn ich allen emo­tio­na­len Müll über Bord gewor­fen habe? Ken­ne ich die­sen Men­schen über­haupt? Wer bin ich wirk­lich? Kann ich mich selbst akzeptieren?

Was hilft?

  • Reden – und zwar ehr­lich. Am bes­ten vor­her, bevor das Kind in den Brun­nen gefal­len ist. Das ist immer bes­ser als Inter­pre­ta­ti­on. Wir kön­nen schließ­lich das Ver­hal­ten ande­rer nur anhand unse­rer eige­nen Erfah­rungs­mus­ter bewer­ten. Sind mei­ne Erfah­run­gen anders als dei­ne, kann ich dich nur falsch bewer­ten und wir ver­ste­hen uns viel­leicht nicht (rich­tig). Nicht interpretieren.
  • Dei­ne eige­nen Stär­ken fin­den – etwas kann jeder gut – und neue Leu­te dadurch ken­nen­ler­nen, mög­li­cher­wei­se neue, noch unent­deck­te Hob­bys. Das führt unwei­ger­lich zu Erfolgs­er­leb­nis­sen, und es geht dir von Tag zu Tag besser.
  • Benen­ne dei­ne Schwä­chen, führ Tage­buch dar­über, was dich belas­tet und wor­an du noch arbei­ten soll­test. Das hilft dir her­aus­zu­fin­den, wer du eigent­lich bist. Nur so kannst du authen­tisch ande­ren Men­schen gegen­über­tre­ten. In unse­rer heu­ti­gen Gesell­schaft sind Schwä­chen immer noch inak­zep­ta­bel, gewünscht ist Per­fek­ti­on – aber auch hier gilt: Alles funk­tio­niert nur gut in sei­ner Balan­ce. Also ken­ne auch dei­ne Schwä­chen.
    War­um machen dich Erin­ne­run­gen an gute Zei­ten trau­rig? War­um kannst du sie nicht als „gut“ in dei­nem Erfah­rungs­schatz behal­ten? – Ganz ein­fach: Du flüch­test vor dei­nen eige­nen Gefüh­len. Du wür­dest dich lie­ber vor ihnen ver­ste­cken als ihnen mutig ins Gesicht zu bli­cken. Du möch­test nicht noch mehr von dir selbst ver­lie­ren, merkst aber nicht, dass du im Gegen­teil etwas dazu­ge­winnst, wenn du dich dei­nem The­ma stellst. Schaffst du das, kannst du jeder­zeit neu­tral auf die­se Bezie­hung zurück­bli­cken und sagen: „Das war eine wert­vol­le Erfah­rung. Sie hat mich wach­sen las­sen, auch wenn ich das nicht noch ein­mal brau­che.“ Die­ses Kar­ma schleppst du nicht wei­ter mit dir her­um und du kannst frei und unbe­fan­gen an eine neue Bezie­hung her­an­ge­hen. Andern­falls pro­ji­zierst du dein altes Pro­blem auf einen neu­en Part­ner, der es a) nicht ver­dient hat und b) der dir nicht hel­fen kann, dein ursprüng­li­ches Pro­blem zu lösen. So zie­hen vie­le immer wie­der den glei­chen Typ Bezie­hung an und fra­gen sich, war­um es immer wie­der der glei­che Auf­guss sein muss. Du emp­fängst, was du aussendest. 
  • Der Lern­ef­fekt einer Situa­ti­on: Was für Vor­tei­le hat die Tren­nung für mich? Was habe ich durch die Bezie­hung gelernt? Manch­mal ist das rei­ne Trau­er­ar­beit. Was soll ich ler­nen bzw. was habe ich immer noch nicht ver­stan­den? Wovor habe ich Angst? Es ging ja vor­her auch ohne den Part­ner. Fra­ge dich auch: Wie muss sich die Lage für mein Gegen­über anfüh­len? – Nur so bekommst du einen voll­stän­di­gen Über­blick. Im Grun­de tref­fen hier zwei ver­schie­de­ne Rea­li­tä­ten auf­ein­an­der – dei­ne und die des Part­ners, sie haben nur kei­ne Schnitt­men­ge mehr.

Nichts ist für immer.
Man gibt sich gegen­sei­tig das, was man braucht, bis man es nicht mehr braucht. Manch­mal fragt man sich „Was soll der Scheiß?“, aber sogar das ist für etwas gut. Sei dank­bar für die Zeit, die du mit einem Men­schen ver­brin­gen darfst.
Car­pe diem.

Und wenn man nichts mehr sucht? Sich selbst genug ist?
Was kön­nen wir uns dann gegen­sei­tig noch geben? – Wir sind zwar ohne Part­ner sehr gut lebens­fä­hig und ver­mis­sen nichts, aber gemein­sam IST man Balan­ce, wächst gemein­sam, nicht mehr anein­an­der. Das ist ein rie­si­ger Unter­schied. Über alles reden zu kön­nen heißt die Angst vor Ableh­nung abge­legt zu haben. 

Dann ist Platz für gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis, und die Bezie­hung hat Bestand.

Ret­ten kannst du nur du dich selbst.


von San­dra Bar­bo­sa da Sil­va

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